Mensch hat’s nicht leicht. Zuerst dachten wir lange Zeit... gar nichts. Als wir dann denken konnten, dachten wir, dass sich das ganze Universum nur um uns dreht. Also im wörtlichen Sinn. Die Sonne, der Mond, die Sterne, die Natur, die Welt. Der Mensch ist Gottes Abbild und der schuf uns a) nach seinem Abbild und b) mit dem Briefing, wir mögen uns die Welt schleunigst untertan machen. Gesagt, versucht.
Einige Steintafeln und Verbrennungen später dämmert es uns: sie dreht sich nicht um uns, sondern wir drehen uns um das galaktische Zentrum. Unsere Galaxie dreht sich um ein supermassereiches schwarzes Loch. So eine Art interstellarer Abfluss, der alle Sterne spiralartig aufschlürft wie Gottes Zahnpasta-Abwasser. Von wegen, Milchstraße.
Also wenn sich jetzt die himmlischen Gestirne nicht um den Menschen drehen, was macht uns dann besonders? So richtig Down to Earth, Hose runter, am Ende des jüngsten Tages?
Kreativität und Intelligenz. Alle Jobs sterben aus, werden von den Maschinen ersetzt, aber der erhabene Künstler-Homo-Sapiens gibt allem erst einen Sinn. Das Wunder der Schöpfung in den schönen Künsten. Puh, Schwein gehabt, es braucht uns doch?
A propos Schwein: es gibt im Netz so einen Rechner, der die Wahrscheinlichkeit und den Zeitpunkt der Abschaffung unserer Berufe hervorsagt. Schlachten und Ausbeinen stehen auf soliden Beinen. Werft eure Veggie-Patties weg, rettet die Menschheit. Jetzt aber zurück zum Thema.
Aktuell schwitzen die Kreativen, im Clickbaiting-Jargon: „Kreative hassen diesen Trick.“ Chat GPT schreibt besser als ich, günstiger und schneller. Dall E und Konsorten schaffen Kunst nach einfachen Texteingaben, vielfältiger, schneller und günstiger als jedes natürliche Wesen. Ein Auftraggeber präsentierte vor kurzem seine Resultate der KI-gestützten Bilderzeugung mit strahlenden Augen und legte uns ans Herz, diese unglaublichen Werkzeuge in unsere Werkzeugpalette aufzunehmen.
Sind Menschen in ihrer Kreativität wirklich besser, oder zumindest anders, als diese unglaublichen Maschinen? Auch wir verarbeiten Daten, abstrahieren, speichern und geben auf Befehl das Gelernte wieder. Als Text, Bild, Handlung oder Lautäußerung. Wir illustrieren nach unseren Vorbildern, kombinieren Farben nach sachlichen oder individuellen Kriterien, variieren längst bekannte Themen und bis zur Erschöpfung ausgewundene Akkordfolgen. Fernsehserien, Romane, Website-Inhalte und der nächste VR-Blockbuster: gibt es denn überhaupt Neues?
Denn gerade das wird den Algorithmen ja vorgeworfen: die kopieren nur, die kreieren aus sich heraus nichts wirklich Neues. Ich möchte behaupten, dass es, bis auf wenige Ausnahmen, auch unter den Menschen seit Jahrtausenden um Beobachten und Nachmachen geht. Wer richtig Neues schafft, gilt im Allgemeinen als plemplem. Wird unterdrückt, ausgelacht, verjagt, erschossen. Zweihundert Jahre später dämmert es dem Rest der Menschheit: ja, da war einer seiner Zeit voraus. Man nickt einträchtig, spricht heilig, baut ein Denkmal. Nichts für Ungut.
Das Surrogat, das maschinell Gemachte, der Pseudokäse. Wir reagieren verächtlich und preisen das Original, das Authentische. Vor einem halben Jahr war ich in London in der ABBA Arena. Wir waren unter den ersten Besuchern der virtuellen ABBA-Show. Auf diesen Moment hatte ich mich seit Monaten gefreut. Würde es gelingen, mit Licht und unterstützt von über 20 Live-Musikern, den Funken überschlagen zu lassen? Würde mein Gehirn sich auf diesen Fake einlassen?
Die erste Hälfte der Show hindurch versuchte ich, den entscheidenden Glitch, die Imperfektion, den Aussetzer zu erspähen. Rund um mich herrschte da weniger Skepsis. Die Halle bebte, Besucherinnen und Besucher von Kindesbeinen bis zum Greisenalter sangen, tanzten, pfiffen, applaudierten zu den auferstandenen alten Schweden. Fünf Wochen verbrachten die allesamt über Siebzigjährigen Mitglieder von ABBA im Motion Tracking Studio. Industrial Light & Magic wurden angeheuert, um virtuelle Avatare in den Dreißigern zu rendern. Die Kostüme entwarfen unter anderem Dolce & Gabbana.
Am Ende der Show kam dann für mich der Moment, wo ich Realität und Illusion nicht mehr unterscheiden konnte. Denn die vier Mitglieder von ABBA traten, in ihrem heutigen Aussehen, auf die Bühne und dankten de, Publikum. War das jetzt echt? Nein, kann nicht sein. Oder doch?
Ob Dall E das Bild malt oder Dali, ob ABBA tanzen oder die Avatare der Skywalker Ranch, ob der Roman von Orwells Romanschreibmaschinen stammt oder doch von Haruki Murakami – spielt das wirklich eine Rolle? Wir leben in einer unglaublichen Zeit. Das Virtuelle verschmilzt mit dem Realen. Der Mensch zusehends mit der Maschine.
„Seht meine Werke, Mächt'ge, und erbebt!“ spricht der Pharao Ozymandias im Gedicht von Percy Bysshe Shelley Witzigerweise kommt der Nachname nicht von ungefährt. Shelleys Frau Mary Shelley hatte im Jahre 1818 am Genfer See Besuch von einer schrecklichen Vision. Der Mensch erschuf einen Menschen, ihm selbst gleich und überlegen. Und als dieser zum Leben erwachte, floh sein Schöpfer, Viktor von Frankenstein, in Furcht und Abscheu vor seiner eigenen Schöpfung. Doch die Kreatur war entfesselt, die Katz aus dem Sack.
„Frankenstein oder: Der moderne Prometheus“ lautet der Titel der Novelle von Shelley, mit der sie die moderne Horrorliteratur begründete. Prometheus war ein Titan, der den dermaßen Narren an den von ihm persönlich erschaffenen Menschen gefressen hatte, dass er den Göttervater Zeus austrickste, um die Menschen zu nähren. Der Name bedeutet übrigens „der Vorausdenkende.“ Da keine gute Tat ungestraft bleibt, schlug der erboste Zeus den Menschenfreund schlussendlich übrigens an einen Felsen. Bis zum Ende aller Zeiten kommt jeden Tag ein Adler, um die nachwachsende Leber des Prometheus erneut zu fressen. Michael Köhlmeier erzählt übrigens die Prometheusgeschichte hier sehr anschaulich.
„Hey Dall E, male ein Bild von der Menschheit, die von einer überragenden Intelligenz unterworfen wird, im Stil eines klassischen Wandmosaiks in lebendigen Farben.“
P.S.: Unser Branding für das Pflanzen- und Wachstumslabel Sanlight Research war das erste Projekt, in dem wir KI-gestützte Bildgenerierung angewandt haben.